Meine Frau
präsentierte stolz den Annex als unser Ferienhäuschen.
„Sieht doch
gemütlich aus, so schön schwedisch.“
Ich weiß
nicht, wie schwedisch aussieht, aber wenn die Lönneberga/Lindgren Romantik
damit gemeint ist, dann ist der Annex der Holzschuppen mit Michels
Schnitzereien direkt gegenüber dem Haupthaus. Wer will da nicht Ferien machen.
Das steht auf meiner Liste ganz oben, gleich nach der Hewitt/Sawyer Farm und dem
Crystal Lake.
Der Annex
ist ein Nebengebäude und eigentlich so was wie der Appendix. Der war vor Äonen
mal zu was gut, wofür weiß aber nur noch die Alte in der Hühnerbeinhütte, wenn
sie ihre Glaskugel anspuckt. Der kann eigentlich weg, findet sich bloß keiner,
der den für die Abwrackprämie der Versicherung schön redet.
Als letzte
Lösung, bevor er zur Trockenkammer für Räucherfisch wird oder gegebenenfalls
als Filmkulisse für einen Wallander Krimi, in dem der Serienmörder die Torsos
seiner Opfer bis unter den Fliegenfänger stapelt, macht eben der doofe Deutsche
Urlaub drin.
Und der
Eigentümer/Opa/lustiger Spinner präsentiert die muffige Bude auch mit allen
seinen Vorteilen. Das Baujahr erwähnt er dabei nicht, das muss schon ein paar
Generationen in der Vergessenheit liegen und gelüftet hat seitdem auch keiner
mehr. Die restliche Atemluft im Inneren stammt noch von König Gustav Adolf II,
als er hier seine Invasionspläne für den 30-jährigen Krieg auf den Tisch gelegt
hat. Bevor er bei Lützen in den sächsischen Rasen gebissen hat.
Heute folgt
die Rache seiner Ahnen!
„Ist schön
bei uns, da drüben wohnen die Graugänse…“
Auf deren
Hinterlassenschaften ich später meinen Akrobatikmodus zuschalten muss.
„…und in dem
Baum da drüben sitz eine Möse.“
Noch sind
mir schwedische Gepflogenheiten in etwa so vertraut wie rohe Hundeleber als
Topping für die Frühstücksflocken. Was einen eben glücklich macht.
„Sie könne
hier auch Wäsche wasche, aba nur einmal die Woch oder so, nicht jede Tag.“
Die
Waschmaschine, inklusive einheimischer Gebrauchsanweisung, ist das einzige
Utensil in der sogenannten Küche, das garantiert irgendwas macht. Was, das
werden wir noch herausfinden.
„Sie haben
da eine Mikro, für warm machen von die Essen.“
Die „Mikro“
steht wackelig auf drei Beinen und starrt ängstlich aus der verlebten Existenz
einer recht abgehalfterten Küchenzeile und scheint förmlich darum zu betteln
aus ihrem Elend befreit zu werden. Die Tür grinst dermaßen schief, dass jeder
Schrotthändler bei Abholung Aufpreis verlangen muss!
„Der Herd
geht nicht.“ Um das zu verdeutlichen hat Opa die Mikrowelle einfach obendrauf
gezapft wie den Hahn auf die Katze um auch das letzte Missverständnis
auszuräumen.
„Und der
Kühlschrank…der geht auch nicht so gut.“
Also gar
nicht. Ich will ihm anbieten eine Karte für Elektroschrott zu schreiben,
scheint sich zu lohnen, aber der lustige Opa präsentieret schon das Bad. Eine
selbstgezimmerte mit Linoleum verkleidete Dusche mit allem ästhetischen Schnick
Schnack aus den frühen 70ern. Zumindest der Wasserdruck stimmt, perforiert der
Strahl doch zuverlässig alte Lederhaut und lässt jeden Kärcher blass aussehen.
Dafür geht das Fenster nur noch unter Einsatz der Schwarzenegger -
Schulterramme auf. Die Flügel haben sich erstklassig in dem aufgequollenen und
verzogenen Holzrahmen verkeilt. Die
lüftungsbefreite, auf modernen Blödsinn verzichtende Dusche, hat in
physikalischer Hinsicht ganze Arbeit geleistet.
Beim ersten
Experimentierversuch mit dem zum Leben erweckten C-Schlauch zieht sich meine
Frau die Stange vom Duschvorhang über den Scheitel wie das Fallbeil während der
französischen Revolution. Die Schwerkraft hat schon was Verhängnisvolles!
Und wozu die
Löcher in den Spanplattenwänden gut sind, erschließt sich auch nicht so ohne
weiteres. Ich nehme an, Opa ist nicht mit der Überwachungsanlage fertig
geworden, weil aufgrund von Lieferengpässen die Fischaugenobjektive nicht
rechtzeitig lieferbar waren. Wenigstens haben die Spinnen in den unverhofft
frei gewordenen Räumen zwischen den doppelten Wänden ihre Nester zimmern
können.
Das
Wandschränkchen über dem gerissenen Waschbecken stammt noch von einem
Laubsägeunfall aus der Vorschule, denn die beiden Schiebetüren zittern sich
regelrecht in ihren Fassungen von links nach rechts und der abgeblätterte
Spiegel in seiner Mitte zeigt gerade noch sowas wie ein verzerrtes Konterfei
aus einem Spiegelkabinett, in dem man für einen Fünfer wahlweise
eierkuchenartig oder spargeldürr aussehen darf.
Die
Deckenlampe im Bad ist das Wunschprodukt eines Heimwerkers mit 10 Daumen. Eine nackte
Glühbirne verbreitet Gulag – Charme.
„Wird kalt
hier drin, kann sein auch. Gehen sie ins Haupthaus, da ist wärmer, wenn das
Wetter nicht so schön ist.“ Dabei schiebt er sich etwas ungeschickt vor den
Kamin, den er doch nicht etwa auch noch klein reden will? Später stellt sich
heraus, dass es wirklich besser ist, den zu ignorieren, da 2 Stahlplatten den
Schornstein sonnenwärts verbarrikadieren wie Jim Bowie und sein Messer das Tor
in Alamo.
Als Ersatz
hängen mehrere, wenig vertrauenswürdig aussehende Elektroheizkörper schief an
den Wänden. Und zwar auf eine sturmgeschädigte Art, die jede Berührung schon
beim bloßen Anblick verbieten. Abgesichert sind alle elektrischen Konstrukte im
Blinddarmtipi, die in ihrer Gesamtheit so funktionstüchtig sind, wie die
Musikkapelle auf der Titanic, nachdem DiCaprio von der Tür gerutscht ist, mit
sage und schreibe 18 Porzellan - Sicherungen. Das ist so, als hätte jeder
Glühfaden seinen eigenen Manager.
Ein
Kleiderschrank ist trotz der brüderlichen Nähe zu Ikea ebenfalls nur ein
Produkt überbordender Fantasie, dafür gibt es eine fensterlose Räucherkammer
mit diversen Stangen an der Decke und ungefähr 147 Bügeln verschiedenster
Reifegrade.
„Hier können
sie Sachen aufhängen, sehr praktisch.“
Wir
entscheiden uns für die Koffervariante, weil wir befürchten, dass in den
finsteren Ecken der Kemenate Sockentrolle wohnen, die Löcher in die Schlüpfer
fressen und Jacken für den Nestbau klauen.
In unserem
Anhängsel - Domizil schält sich uralte Tapete unter den Fensterbänken von der
Wand, als wären auch die letzten Reste vom Tapetenkleister schon vor der
Neutralitätserklärung Schwedens ins Pastellfarben - Nirvana verdunstet. Dafür
spannt sie sich aber mit aufreizendem Charme faltig um die Überputzleitungen
und versteckt sich hinter kitschigen bis gruseligen Wandbildern, die von der
Geschmacksresistenz der Besitzer zeugen.
Dafür sind
die knarzenden Betten wenigstens bequem, wenn auch klamm wie eine nasse
Hundedecke.
Der Annex
ist in etwa so reizvoll wie das Innere des Schießbudenkönigs nach der 12.
Flasche Essig und ebenso vielen Freifahrten rückwärts im Kettenkarussell.
Und trotzdem
schlafen wir in der gruseligen Hütte, die wie aus einem verschollenen Lars von
Trier - Drehbuch wirkt, beinahe babygleich. Ich fühle mich hier morgens so
ausgeruht, wie seit Jahren nicht mehr.
Kein
Fernseher, kein Internet, eine halbe Rolle Klopapier für 14 Tage und 2 Dutzend
alte National Geographic Ausgaben aus den 90ern scheinen zu reichen, um einen
entspannten Urlaub in ein aufregendes Survival Abenteuer zu verwandeln.
Und das ist
unbezahlbar!